Beweglich bleiben – Schmerz vertreiben

Expertentipps zum Tag der Rückengesundheit

Bewegliche Sitzflächen bringen Bildschirmarbeiter auch im Sitzen in Bewegung -  Bild: Haider Bioswing

Bewegliche Sitzflächen bringen Bildschirmarbeiter auch im Sitzen in Bewegung - Bild: Haider Bioswing

75 % ihrer Wachzeit verbringen Menschen in Deutschland im Sitzen. Über 11 Stunden täglich verbringen sie vor Bildschirmen. Immer mehr und immer mehr jüngere Menschen haben Rückenbeschwerden. Wie schafft man es, dass diese Beschwerden nicht auftreten? mendo:movo hat zu diesem Thema mit Dr. Dieter Breithecker gesprochen, der als Sportwissenschaftler und Projektleiter für „Das bewegende Büro“ seit Jahren für bewegungsfreundlichere und damit gesundheitsfördernde Lebensräume kämpft.

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mendo:movo: Herr Dr. Breithecker, wie bringt man eine Gesellschaft von Bildschirmarbeitern zu einem gesünderen Lebensstil?

Dr. Breithecker: In der Tat haben die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren vielfältige psycho-physische Beschwerde- und Krankheitsbilder hervorgerufen, die bereits immer mehr auch Menschen in den Mittvierzigern betreffen. Die vielen Stunden, die wir bereits im Kindesalter vor diversen Bildschirmen verbringen – über 70 Stunden pro Woche – generieren unphysiologische Verhaltensweisen und damit Belastungsfaktoren auf die unser komplexes System, das entwicklungsbiologisch auf Bewegung angewiesen ist, nicht vorbereitet ist. Neben orthopädischen Beschwerdebildern sind auch unser Stoffwechsel als auch unsere psychischen und neuro-kognitiven Funktionen betroffen.

Um trotz dieser Belastungsfaktoren unsere psycho-physische Balance aufrechtzuerhalten, müssen wir gezielt in Schutzfaktoren investieren. Einer der wichtigsten Schutzfaktoren ist, uns regelmäßig zu bewegen. Am Abend joggen zu gehen reicht da nicht aus. Wir müssen Bewegung und regelmäßige Be- und Entlastungswechsel in unsren Arbeitsalltag hineinorganisieren. Und da wir nun einmal im Zuge der Bildschirmarbeit viel Zeit im Sitzen verbringen, muss das auch im Sitzen erfolgen.

Der wichtigste Faktor, dass diese Beschwerden gar nicht erst auftreten und dann auch nicht aufwendig therapiert werden müssen, ist Bewegung. Und diese Bewegung muss man auch ins Sitzen bringen.

mendo:movo: Was kann man hier tun?

Dr. Breithecker: Im Stehen entlastet und belastet man ständig ganz intuitiv seine Wirbelsäule. Diese Wechselbelastungen muss man auch ins Sitzen bringen: Sitzen muss so dynamisch sein wie Stehen. Der Mensch hat eine innere Bewegungslogik, und die führt auch zu einem physiologisch intelligenten Sitzverhalten. Das darf aber nicht durch die Sitzgelegenheit eingeschränkt oder blockiert werden.

Wir brauchen also gerade für die Bildschirmarbeit dringend Sitzmechaniken mit einer mehrdimensional beweglichen Sitzfläche. Solche beweglichen Sitzflächen geben ständig Bewegungsreize an den Körper, und der reagiert darauf wie beim freien Stehen: Er wechselt ständig seine Haltung, um beanspruchte Körperpartien zu entlasten und eine Dauerbelastung zu vermeiden, indem er zwischen Anspannung und Entspannung wechselt.

Das geschieht ganz unbewusst, wirkt sich aber auch auf das Gehirn aus: Es bekommt ständig sensomotorische Impulse, auf die es reagieren muss. Dadurch bleibt es aktiv. Wenn man nur stillsitzt, fährt auch das Gehirn nach kurzer Zeit seine Aktivität herunter.

mendo:movo: Lässt sich überprüfen, wie gut das funktioniert?

Dr. Breithecker: Das lässt sich mitspeziellen Bewegungssensoren messen. Solche Sensoren erkennen die ständigen, aber kleinen Bewegungen, die man beim dynamischen Sitzen macht. Das kann ein herkömmlicher Fitnesstracker nicht. Daraus lässt sich auch ein Bewegungs- und Aktivitätsprofil über den ganzen Tagesablauf hinweg erstellen.

mendo:movo: Machen das die Leute dann auch?

Dr. Breithecker: Selbstoptimierung ist ein großes Thema, und das Gesundheitsbewusstsein steigt. Man muss nur einmal schauen, wie viele ihr tägliches Schrittpensum mit ihrer Smartwatch erfassen. Es kommt darauf an, Menschen dafür zu sensibilisieren, wie wichtig dynamisches Sitzen und wie gesundheitsschädlich statisches Sitzen ist.

Die Sensordaten geben ein positives Feedback, sie zeigen, was richtiges Verhalten bewirkt – und sie unterstützen langfristig einen Lebensstil, der Beschwerden vorbeugt, die durch Bewegungsmangel ausgelöst werden.

Sensor für die Bewegungsmessung

Sensor für die Bewegungsmessung - Bild: Haider Bioswing

Diagramm: Tagesauswertung Aktivitäten

Die durch die bewegliche Sitzfläche angeregten Aktivitäten lassen sich über den Tag hinweg auswerten - Bild: Haider Bioswing

mendo:movo: Wie stark bringt einen dynamisches Sitzen in Bewegung?

Dr. Breithecker: Messergebnisse zeigen, dass das Aktivitätslevel dem von anderen leichten körperlichen Aktivitäten wie Gehen entspricht.

mendo:movo: Und zum Abschluss noch eine Frage: Welche anderen Wege gibt es noch, um mehr Bewegung in den Alltag zu integrieren?

Dr. Breithecker: Der einfachste Weg ist: Ab und zu vom Schreibtisch aufstehen. Das kann man dadurch erreichen, dass man etwa zum Regal, zum Drucker oder zum Papierkorb ein paar Schritte gehen muss, weil die weit genug weg stehen. Oder dass man Kollegen im Büro nicht nur Mails schreibt, sondern ab und zu auch direkt hingeht.

Oder dass man Besprechungen am Stehtisch oder noch besser im Gehen – am besten draußen – macht. Bewegung regt ja auch das Gehirn und damit die Kreativität an. Und dann gibt es noch viele andere Wege, etwas Bewegung in den Alltag zu bringen. Das fängt dabei an, öfter mal die Treppe zu nehmen statt den Aufzug.

Auf dem Weg von und zur Arbeit kann man zum Beispiel das Rad nehmen oder bei Bus, U- oder S-Bahn eine Station früher aussteigen und den letzten Teil des Weges zu Fuß zu gehen. Man muss die Gelegenheiten sehen und vor allem nutzen – der Körper dankt es einem.

Dr. Dieter Breithecker

Dr. Dieter BreitheckerDr. Dieter Breithecker ist promovierter Sportwissenschaftler und Projektleiter für „Das bewegende Büro“. Primäres Anliegen der Initiative ist es, die menschlichen Lebensräume bewegungsfreundlicher zu gestalten, um damit positive Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit zu erzielen. Breithecker ist Autor und Mitautor zahlreicher Veröffentlichungen und national wie international als Referent tätig. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von mendo:movo.

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