Bürodynamik: Mehr Bewegung im Büro
Möglichkeiten zur Bewegungsförderung
Wir sitzen zu viel – das ist keine neue Erkenntnis, aber wichtig: Bewegungsmangel ist heute mit Abstand einer der größten Risikofaktoren für unsere Gesundheit. Gerade Bildschirmarbeit bringt unseren Körper in eine Zwangshaltung. Häufige Folgen sind Rückenschmerzen, Bluthochdruck oder Übergewicht. Dass solche Symptome auftreten, ist aber teilweise selbstverursacht – und damit auch verhinderbar.
Die Frage ist also, wie wir vorhandene Bewegungspotenziale nutzen und die Freude an Bewegung über die Bequemlichkeit siegen lassen. Dieser Beitrag zur Bürodynamik beschreibt die verschiedenen Möglichkeiten zur Bewegungsförderung im Büro und zur erfolgreichen Umsetzung in der Praxis.
Das Konzept im Überblick
Bürodynamik ist ein Konzept, um mehr Bewegung ins Büro zu bringen. Ziel ist, bestehende dynamische Verhältnisse wie moderne Sitzkonzepte oder Steh-Sitz-Lösungen um dynamisches Verhalten zu erweitern: Personen, Raum und Bürogebäude müssen körperliche, geistige und emotionale Bewegung zulassen, um agiles Arbeiten zu ermöglichen.
Bürodynamik ist der Dreiklang aus Selbstmanagement, Kommunikation und Arbeitsplatz:
- Ich bewege mich – mit Selbstmanagement zurück zum sich selbst bewegenden Menschen.
- Ich bewege jemanden – mit der richtigen nach innen und außen gerichteten Kommunikation, um in sich und bei anderen etwas zu bewegen.
- Es bewegt mich – die eigene Wahrnehmung und Emotionalität wie auch die Verhältnisse Arbeitsplatz – Raum – Gebäude fordern mehr Bewegung.
Eine Veränderung im Sinne von Bürodynamik ist damit ein Mix aus
- bewegenden Verhältnissen,
- bewegtem Verhalten,
- bewegungsfördernden Arbeits-, Raum- und Gebäudestrukturen und
- der eigenen Sensibilität und Emotionalität.
Erfolgreiche Bürodynamik-Prozesse können an allen Stellen im Unternehmen begonnen werden. Die initiierten Prozesse müssen aber immer auch alle restlichen Ebenen erreichen und aktiv einbeziehen. Entscheidend ist, dass gleichzeitig gerudert wird, und zwar in die gleiche Richtung, sonst dreht sich das Boot, bleibt stehen oder treibt zurück.
Darum ist mehr Bewegung nötig
Um zu überleben, hat sich der Mensch im Lauf der Evolution für Bewegung optimiert. Von den Anfängen als Jäger und Sammler über unsere ersten sesshaften Vorfahren bis hin zur industriellen Revolution war der Großteil der Menschheit für den täglichen Broterwerb auf seine Muskelkraft angewiesen.
Im 20. Jahrhundert hat sich die Notwendigkeit für körperliche Aktivität aufgrund der Technisierung der gesamten Gesellschaft stark reduziert. Die zunehmende Digitalisierung hat diesen Trend weiter beschleunigt. Gleichzeitig ist die menschliche Physiologie aber immer noch auf Bewegung ausgerichtet – Bewegungsmangel hat deshalb negative Folgen.
Lebensprinzip Bewegung
Der Mensch funktioniert nach dem Lebensprinzip Bewegung. Ohne Bewegung keine Atmung, kein Herzschlag, kein venöser Rückfluss und keine Bandscheibenernährung. Bewegung tut Not.
Statt sich im Büro mehr zu bewegen, bleiben aber immer mehr Menschen immer länger und immer statischer sitzen. Es gilt, das dynamische System unseres Körpers anzusprechen, die Gesamtbilanz positiv zu gestalten, ohne dabei Einbußen in den Arbeitsprozessen hinnehmen zu müssen.
In den EU-28-Ländern waren bereits 2012 zwei Drittel aller Arbeitsplätze mit geringer körperlicher Aktivität (ISCO-Kategorien 1–5) verbunden. Steigender Zeitdruck und höher werdende Arbeitsumfänge verschärfen den Bewegungsmangel weiter, da immer weniger Raum für körperliche Aktivität in der Freizeit bleibt. Über 50 % der Arbeitnehmer der ISCO-Kategorien 1–5 geben mittlerweile an, dass sie sich selten oder nie körperlich betätigen.
Viele Studien zeigen, dass der Mensch durch dauerhaften Bewegungsmangel krank wird. Eine der Ursachen liegt in der Entwicklungsgeschichte des Menschen: Um auch in Notsituationen zu bestehen, versucht er immer, seinen eigenen Ressourcenverbrauch zu minimieren. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir Energiespeicher in Form von Fett anlegen, wenn wir mehr Energie über die Nahrung aufnehmen, als wir tatsächlich verbrauchen, oder dass der Organismus in den Sparmodus wechselt, wenn er nicht körperlich aktiv ist, beispielsweise wenn wir ruhig am Schreibtisch sitzen und arbeiten. Kurzfristig hat das zur Folge, dass man müde wird und mittelfristig baut der Körper nicht benötigte Muskulatur, etwa am Rücken, ab. Langfristig führt ein Mangel an Stützmuskulatur zwangsläufig zu einer Fehlhaltung und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schmerzhaften Rückenproblemen.
Kostenfaktor Bewegungsmangel
In Langzeitstudien hat sich herausgestellt, dass lange Perioden mit geringer körperlicher Aktivität sogar die Lebenszeit verkürzen können. „Sitzen ist das neue Rauchen“ und „Wir sitzen uns tot“, lauteten einige Schlagzeilen – und das nicht ohne Grund: Bewegungsmangel ist mittlerweile die vierthäufigste Todesursache und Hauptursache für viele weitere Krankheiten (Rückenprobleme, Übergewicht, Diabetes Typ II, Herz-Kreislauf-Erkrankungen etc.) mit großen volks- und betriebswirtschaftlichen Kosten.
So geht der Bericht „Step Up! Bekämpfung von Bewegungsmangel in der Europäischen Region der WHO“ der Weltgesundheitsorganisation WHO von rund 8 Milliarden Euro höheren Gesundheitskosten in Europa pro Jahr aus. Allein für die Spitzenreiter Deutschland, Frankreich und Italien werden für den Zeitraum von 2022 bis 2050 Mehrkosten von jährlich 2 Milliarden Euro, 1,3 Milliarden Euro und 1 Milliarde Euro für die Behandlung von durch Bewegungsmangel bedingten Krankheiten erwartet.
Ins Detail geht die Auswertung der NAKO-Gesundheitsstudie, die ein Forscherteam des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) 2024 durchgeführt hat. Die NAKO-Studie ist mit rund 160.000 Teilnehmern, Deutschlands größte epidemiologischer Bevölkerungsstudie.
Personen mit einem „unzulänglichen Maß an Bewegung“ haben demnach im Durchschnitt 188 Euro höhere direkte Gesundheitskosten als Menschen mit aktiverem Lebensstil. Sie müssen diesen Betrag für Behandlungen und Medikamente selbst aufbringen. Hinzu kommen 482 Euro indirekte Mehrkosten pro Jahr. Hier handelt es sich um Produktivitätsverluste durch Krankentage oder gesundheitsbedingte Frühverrentung.
Die WHO empfiehlt 150 Minuten moderate bis anstrengende Bewegung pro Woche, um gesund zu bleiben und Krankheiten vorzubeugen. In Deutschland erreicht allerdings nicht einmal ein Viertel der Erwachsenen dieses Ziel. Wenn sich die Bürgerinnen und Bürger in der EU an die WHO-Mindestempfehlungen halten würden, ließen sich bis 2050 11,5 Millionen neue Fälle von nichtübertragbaren Krankheiten verhindern. Dies umfasst 3,8 Millionen Fälle von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 3,5 Millionen Fälle von Depressionen, knapp 1 Million Fälle von Typ-2-Diabetes und mehr als 400 000 Fälle von verschiedenen Krebsarten. Mit durchgehend 300 Minuten Bewegung pro Woche ließen sich weitere 16 Millionen Fälle von nichtübertragbaren Krankheiten verhindern.
Der Mensch zählt – er bewegt das Unternehmen
In modernen Unternehmen ist der Mensch mittlerweile die wichtigste Unternehmensressource. Es ist also im ureigenen Interesse jedes erfolgreichen Unternehmens, seine Mitarbeiter so zu unterstützen, dass sie in bester körperlicher und geistiger Verfassung sind. Das bedeutet sowohl die Minimierung der zuvor beschriebenen gesundheitlichen Probleme als auch die Förderung der mentalen Leistungsfähigkeit. Beides kann durch mehr Bewegung im Arbeitsumfeld erreicht werden.
Für die erfolgreiche Einführung von bewegungsfördernden Maßnahmen ist es entscheidend, dass die Beteiligten auf allen sozial-ökologischen Ebenen miteinbezogen werden:
- Individuell, z. B. Einzelberatung über den Einsatz von dynamischen Sitzkonzepten, Sitz-Steh-Konzepten und Pedalierkonzepten am Schreibtisch,
- interindividuell, z. B. Sportgruppen mit organisierter sozialer Unterstützung, Gesundheitstage, gemeinsame Bewegungspausen,
- organisatorisch, z. B. unternehmensweiter Fragebogen mit Feedback und weiterführenden Bildungsangeboten und
- Umwelt, z. B. Vorhalten von Duschen, betriebsinternen Fitness-Studios oder Gesundheitszentren.
Alle Maßnahmen müssen an die lokalen Gegebenheiten wie Organisationskultur, spezifische Zielgruppe, übliche Kommunikationsformen angepasst werden. Wie das funktionieren kann, erläutert der zweite Teil unserer Artikelserie.