Ein Augenblick Entspannung
So aktivieren Sie den Vagusnerv mit somatischen Augenübungen
Der Vagusnerv spielt eine bedeutende Rolle in unserem Körper und ist ein wesentlicher Bestandteil des autonomen Nervensystems, das für uns unbewusst agiert. Es wägt ständig Gefahr oder Sicherheit ab. Ist der Vagusnerv im Gleichgewicht, fühlen wir uns entspannt und in Balance. Eine Störung, etwa durch zu viel und andauernden Stress, kann dagegen zu körperlichen Beschwerden führen. Regelmäßige somatische Übungen können helfen, unser autonomes Nervensystem zu beeinflussen und den Vagusnerv zu aktivieren. Unsere Augen übernehmen dabei eine wichtige Rolle.
„Fight-or-flight“ oder „Rest-and-digest“?
Wenn es um das autonome Nervensystem geht, fallen schnell die Begriffe Sympathikus und Parasympathikus. Der Sympathikus wird aktiviert, wenn das autonome Nervensystem in irgendeiner Form Gefahr wittert, und ruft umgehend zur Kampf- oder Fluchtreaktion auf („Fight-or-flight“). Da unsere Wahrnehmung von Gefahren unterbewusst abläuft, können wir oft gar nicht konkret benennen, was genau uns in Stress versetzt. Der Säbelzahntiger ist es heute nicht mehr. Die Ursachen sind häufig viel subtiler: der volle Terminkalender, ein platzendes E-Mail-Postfach, unbekannte Menschen, mit denen man sich wenig verbunden fühlt, eine lange To-do-Liste, aber auch Dinge wie Kälte oder Hitze.
Im Normalfall reguliert sich unser autonomes Nervensystem von selbst. Auf die Stressreaktion folgt die Ruheantwort – Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Der Parasympathikus, der direkt mit dem Vagusnerv verbunden ist, beginnt mit seiner Arbeit und sorgt dafür, dass unser Herz wieder langsam und gleichmäßig schlägt, unser Atem sich beruhigt, die muskuläre Anspannung wieder nachlässt, die Verdauung wieder anspringt …
Der Körper kommuniziert ständig
In gesundem Maße ist die Stressreaktion gut und gewollt: Sie treibt uns an, sie macht uns wach und leistungsbereit, sie lässt uns aktiv Entscheidungen treffen. Aber was, wenn nach großer Aktivität die Ruheantwort ausbleibt, weil der Stress chronisch anhält?
In diesem Fall ist der Vagusnerv gestört; Symptome wie Herz-Kreislauf-Probleme, Verdauungsstörungen, Schlafstörungen, Stressbelastungen, depressive Episoden oder auch Angstzustände können die Folge sein. Im schlimmsten Fall kommt es sogar zur völligen Erstarrung (Freeze). Das ist eine parasympathisch gesteuerte Schutzreaktion auf eine lebensbedrohliche Situation, die sich nicht durch Kampf oder Flucht lösen lässt.
Deswegen gilt: Stress-Symptome erkennen und reagieren. Embodiment ist hier das Wort der Stunde. Man weiß mittlerweile, dass der Großteil an Informationen vom Körper ans Gehirn gesendet wird, nicht umgekehrt. Der Körper kommuniziert also ständig mit uns. Wir müssen nur darauf hören, um dann mit gezielten somatischen Übungen unser System bewusst wieder herunterzufahren und in den Entspannungsmodus zurückzukehren.
Augenübungen aktivieren den Vagusnerv
Hier kommen unsere Augen ins Spiel. Sie sind über den dritten Hirnnerv, einer der Nerven, der Augenbewegungen möglich macht, über sogenannte parasympathische Fasern direkt mit dem Vagusnerv verbunden. Deswegen sind regelmäßig ausgeführte Augenübungen nicht nur gut für Bildschirm-Arbeiter*innen, sondern können auch die Vagusnerv-Funktionen positiv beeinflussen. Besonders Augenbewegungen, die die Wahrnehmung von Raum und Bewegung anregen, haben einen beruhigenden Einfluss auf das autonome Nervensystem. Durch sanfte, gezielte Augenübungen lassen sich Spannungen im Körper reduzieren und die Aktivierung des Vagusnervs fördern.
Beispiele für somatische Augenübungen
- Setzen Sie sich bequem hin, schließen Sie die Augen und atmen Sie tief ein und aus.
- Beginnen Sie dann, die Augen sanft nach oben zu rollen und in einem großen Bogen im Uhrzeigersinn zu bewegen.
- Atmen Sie tief und ruhig, während Sie die Augenbewegung wiederholen.
Machen Sie nach 5 bis 10 Wiederholungen eine Pause und führen Sie die Übung in die entgegengesetzte Richtung durch.
- Heben Sie den Blick, ohne den Kopf zu bewegen, so weit wie möglich nach oben.
- Halten Sie diese Position für einige Sekunden und senken Sie dann den Blick langsam in Richtung Boden.
Wiederholen Sie diese Bewegung langsam und bewusst, während Sie tief und ruhig atmen.
- Halten Sie einen Finger oder einen Gegenstand etwa 30 cm vor Ihrem Gesicht.
- Schauen Sie fokussiert auf den Gegenstand, richten Sie dann den Blick auf einen entfernten Punkt, beispielsweise auf ein Fenster oder einen Baum.
- Wechseln Sie langsam zwischen Nah- und Fernfokus.
- Setzen Sie sich in eine bequeme Haltung und richten Sie den Blick geradeaus.
- Bewegen Sie nun die Augen langsam und kontrolliert nach links, halten Sie den Blick für einen Moment und kehren Sie dann in die Mitte zurück.
- Wiederholen Sie dies nach rechts. Führen Sie die Bewegung langsam und bewusst durch und achten Sie darauf, dass Ihr Atem ruhig und tief bleibt.
Diese Übung können Sie noch erweitern:
- Halten Sie den Blick nach rechts, ohne den Kopf zu bewegen.
- Neigen Sie dann das rechte Ohr über die rechte Schulter, ohne die Position Ihrer Augen zu verändern.
- Verweilen Sie so für 30 bis 60 Sekunden bzw. bis Sie einen Gähn- oder Schluckreflex verspüren.
- Wiederholen Sie das Ganze auf der anderen Seite.
- In einem weiteren Durchlauf blicken Sie nach links, ohne den Kopf zu bewegen.
- Neigen Sie dann erneut das rechte Ohr über die rechte Schulter und halten dabei den Blick. Ihr Blick geht also jetzt eher nach oben. Halten Sie so für 30 bis 60 Sekunden inne, bevor Sie die Seite wechseln.
Integration in den Alltag
Ob im Büro oder daheim, die oben genannten Augenübungen können Sie mehrmals täglich durchführen. Sie sind eine einfache Möglichkeit, Stress abzubauen und das parasympathische Nervensystem zu unterstützen. Insbesondere in stressigen Momenten oder nach längeren Phasen geistiger Anstrengung können diese Übungen eine wertvolle Hilfe sein, um innere Ruhe und Gelassenheit zu finden und um langfristig unsere Fähigkeit zur Selbstregulation zu stärken.
Quellen:
- Der Vagusnerv: Eine umfassende Erklärung auf Deutsch – Vagus.net
- Vagusnerv: Auf Knopfdruck entspannen – Beobachter
- Hirnnerven: Anatomie, Funktion, Schädigungen – Netdoktor.de
- Eye Yoga for Vagus Nerve Stimulation – re-origin
- Polyvagal Theory: Summary, Premises & Current Status – Polyvagal Institute (PDF)