Dehnen, kräftigen oder Koordinationstraining was hilft wirklich gegen Rückenschmerzen?
Körperliche Aktivität gilt heute als grundlegende Maßnahme gegen Rückenschmerzen dabei gibt es verschiedene Optionen
Rückenschmerzen sind so häufig wie rätselhaft: Fast jeder bekommt sie mindestens einmal im Leben und bei kaum jemandem ist eine eindeutige Ursache zu finden. Als gesichert gilt, dass lange Sitzzeiten, eine schwache Rumpfmuskulatur und zu wenig Bewegung einschlägige Risikofaktoren sind. Die entscheidende Frage bleibt – wie werde ich die Rückenschmerzen wieder los? Nach einer medikamentösen Akut-Therapie stehen als Therapieoptionen Kräftigung und Dehnen im Fokus. Eine Studie weist außerdem darauf hin, dass auch sensomotorisches Training sehr effektiv gegen Rückenschmerzen wirkt.
Bewegen statt schonen
Als längst überholt gilt heute die Empfehlung, sich bei Rückenschmerzen zu schonen. „Bewegen statt schonen“ lautet die Devise, die sich in vielen Studien bestätigt hat. PhysioMeetsScience, eine Online-Plattform, die aktuelle Erkenntnisse aus Physiotherapie, Trainings- und Sportwissenschaften rezipiert und zugänglich macht – und Partner von mendo:movo –, hat beispielsweise Studienergebnisse zu Bandscheiben zusammengefasst. Ein Befund ist unter anderem, dass Krafttraining die regenerativen Prozesse der Bandscheibe zu fördern scheint und degenerative Veränderungen der Bandscheibe mehr mit den Genen als mit mechanischer Belastung zu tun haben.
Verschleiß erklärt die Beschwerden nur selten
Die Barmer Krankenkasse weist in ihrer aktuellen Rücken-Broschüre daraufhin, dass der Umgang mit Rückenbeschwerden für den Krankheitsverlauf wichtiger ist als die vermeintlich objektiven Befunde bildgebender Verfahren wie Röntgen oder Kernspintomografie: Sichtbare Veränderungen an der Wirbelsäule kommen gleichermaßen bei Menschen mit und ohne Rückenschmerzen vor. So haben nahezu alle 40-Jährigen Einrisse in mindestens einem äußeren Bandscheibenring, bei jedem zweiten 50-Jährigen bringt die Kernspintomografie eine größere Bandscheibenvorwölbung oder einen Bandscheibenvorfall zu Tage und bei 70 Prozent der 50-Jährigen weist die Wirbelsäule Abnutzungserscheinungen auf.
Der objektiv festgestellte Befund erklärt jedoch nur selten die Beschwerden. Fast immer hingegen ist es das Zusammenspiel mehrerer ungünstiger Faktoren, die Rückenschmerzen auslösen. Nicht auf alle Faktoren hat der Einzelne Einfluss – auf zwei ganz wesentliche allerdings sehr wohl, nämlich auf sein Bewegungsverhalten und auf den Zustand der Muskulatur.
Krafttraining und Dehnen in gute Balance bringen
Als Handlungsempfehlung zur Therapie von Rückenschmerzen gilt deshalb die Devise: Bleiben Sie so aktiv wie möglich, nutzen Sie jede „Bewegungschance“, die Ihnen der Alltag bietet, und verändern Sie häufig Ihre Körperhaltung. Optimal wäre es, zusätzlich Sport zu treiben. Von besonderem Interesse im Kontext der Prävention und Behandlung von Rückenschmerzen sind dabei Krafttraining und Dehnen beziehungsweise Mobilisieren. Im ersten Moment scheinen diese beiden Ansätze gegenläufig zu sein. Denn beim Krafttraining ziehen sich bei jeder Kontraktion die kleinsten Einheiten im Muskel zusammen, während sie beim Dehnen wieder etwas auseinandergezogen werden.
Bei näherer Betrachtung ist es jedoch so, dass es bei der Therapie von Rückenschmerzen auf ein ausgewogenes Verhältnis von beiden Trainingsarten ankommt – beziehungsweise der Ansatzpunkt die eigenen Defizite sein sollten. Nach Angaben von Rückenexperten in einer aktuellen Ausgabe des NDR-Gesundheitsmagazins Visite profitieren bewegliche Menschen eher von Muskelkräftigung statt von weiterer Dehnung, da eine gute Muskulatur die Gelenke schützt. Insbesondere die Rumpfmuskulatur, also alle Muskeln der Körpermitte, sollten im Fokus des Krafttrainings stehen. Muskulöse Menschen hingegen brauchen mehr Beweglichkeit, sie sollten nicht unbedingt noch mehr Krafttraining absolvieren, sondern eher auf Dehn- und Mobilisationsübungen setzen.
Schmerzreduktion durch sensomotorisches Training
Eine große, von der Universität Potsdam koordinierte Studie mit dem Titel „MiSpEx (Medicine in Spine Exercise)“ weist darauf hin, dass ein dritter Trainingsansatz sehr effektiv gegen Rückenschmerzen helfen könnte: das sensomotorische Training, ein koordinatives Training zur Verbesserung von Bewegungsabläufen. Laut Studienleiter Prof. Dr. Frank Mayer von der Universität Potsdam kann dadurch eine Reduktion der Beschwerden effektiv und mit geringem Aufwand erzielt werden. Wichtig sei es dabei, Störreize in den Bewegungsablauf zu bringen. Damit sind Übungen gemeint, die den Körper zunächst aus dem Gleichgewicht bringen. Um sich wieder zu stabilisieren, muss er neue, noch unbekannte Bewegungsabläufe erlernen.
A propos Gleichgewicht: Psychische Faktoren können Rückenschmerzen verstärken oder lindern. Gerät das Leben aus dem Takt, beeinflusst dies den Verlauf der Rückenbeschwerden negativ. Eine hohe Lebenszufriedenheit hingegen senkt das Risiko, dass Rückenschmerzen chronisch werden.