Ergonomie am Arbeitsplatz mit Bildschirm

Vom Head-Mover zum Eye-Mover

Foto: Haider Bioswing GmbH

Foto: Haider Bioswing GmbH

Die motorische Steuerung der Augen und der Wirbelsäule sind funktionell eng miteinander verknüpft. Zusammen mit dem Gleichgewichtssystem sind sie maßgeblich für das körperhaltungsregulierende System verantwortlich. Durch langandauernde monotone Tätigkeiten an Bildschirmarbeitsplätzen kann es zu Funktionsstörungen dieser motorischen Systeme kommen.

Die visuellen Informationen (Blickziele) und die Blickachse spielen eine entscheidende Rolle bei der Körperorientierung im Raum. Die Netzhaut im Auge ist für die dynamische Haltungskontrolle wichtig, weil dort das visuelle Raumorientierungssystem seinen Ausgangspunkt hat. Hinzu kommen die Spannungsinformationen der äußeren Augenmuskeln.

Verbindung von Wirbelsäulen- und Augenmotorik

Die Informationen aus den Meldeorganen des Bewegungsapparates (insbesondere der Wirbelsäulenmuskulatur), der Gleichgewichtsorgane im Innenohr und der Augen werden auf Ebene des Hirnstammes zusammengeführt. Die äußeren Augenmuskeln und die äußeren Muskeln der tiefen Wirbelsäulenschicht werden gleich angesteuert und ebenso die inneren Augenmuskeln und die inneren Muskeln der tiefen Wirbelsäulenschicht. So bilden die äußeren und die inneren tiefen Muskelsysteme der Wirbelsäule jeweils ein gleichartiges Bewegungsmuster, wenn die Bewegungsrichtung von den Augen vorgegeben wird. Die Augenmotorik stellt somit eine Möglichkeit dar, die nicht willentlich aktivierbare Wirbelsäulenmuskulatur über die Augenbewegungen zu beeinflussen. Wird die Bewegung jedoch von einer Kopfdrehung vorgegeben, kehren sich die Verhältnisse um: Eine Drehung des Kopfes nach rechts bewirkt eine Augenbewegung in die entgegengesetzte Richtung, also nach links (der Blick bleibt auf das Ziel gerichtet). Dies trägt dazu bei, dass die Augen einen Fixpunkt bei einer sich verändernder Kopfposition halten können.

Motorische Funktionsstörungen

Eine Spannungsstörung der äußeren Augenmuskeln, wie z. B. durch eine chronische Blickausrichtung auf einen Monitor, kann zu einem fehlerhaften Körperhaltungsprogramm mit z. B. immer wiederkehrenden, schmerzhaften Funktionsstörungen der Wirbelsäule führen.

Die Funktionsstörung der äußeren Augenmuskeln wiederum kann durch Aktivitätsstörungen des zentralen Nervensystems infolge von Fehlinformationen aus den Muskeln der Wirbelsäule begründet sein, z. B. bei Bewegungsmangel durch lang sitzende Tätigkeiten oder einseitigen Haltungen. Damit können motorische Störungen der äußeren Augenmuskeln sowohl als Ursache wie als Folge in Frage kommen.

Konvergenz- und Fusionsschwächen (d. h. nicht zur Deckung bringen der Bilder beider Augen) sowie eine Vergrößerung des blinden Flecks im Auge mit einer entsprechenden Einschränkung des Sichtfeldes können die Folge sein. So zeigen sich häufig Besserungen von Konvergenz- und Fusionsschwächen sowie von Sichtfeldeinschränkungen nach der Beseitigung von Funktionsstörungen der Wirbelsäule, insbesondere der Halswirbelsäule.

Bildschirmarbeiter sind Eye-Mover

Wir Menschen sind geborene Head-Mover. Als Kleinkinder verfolgen wir Objekte v. a. mit Kopfbewegungen und weniger mit isolierten Augenbewegungen. Mit zunehmender visueller Entwicklung wird die Kopfbewegung reduziert und es werden zielsichere und genauere Augenfolgebewegungen eingesetzt. Deutlich zeigt sich hier der Einfluss der Schule auf die Blickmotorik. Mit der beginnenden Schulzeit und der damit einhergehenden Blickfixierung auf Heft, Buch und Tafel und der damit nur noch geringen Kopfbewegung werden die Schüler zu Eye-Movern. Dies zeigt den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Visuomotorik, welches unsere moderne Lebensweise mit zunehmend bildschirmgebundenen Arbeitsplätzen weiter begünstigt. Bildschirme verlangen nur noch sehr kleine Blickbewegungen, die rein mit den Augen bei ruhiger Kopfhaltung durchführbar sind. Dies wird mit als Ursache für Nackenbeschwerden und Spannungskopfschmerz verantwortlich gemacht. Sämtliche Nackenmuskeln werden nur noch statisch als Kopfhaltemuskeln belastet, um einen Fixpunkt für die sich dynamisch auf die Blickziele innerhalb des PC-Bildschirms bewegenden Augen zu bilden. Dies führt rasch zu deren Tonussteigerung mit einer damit einhergehenden ungünstigen Stoffwechselsituation. Es kommt zu muskulären Schmerzen oberflächlicher Nackenmuskeln bis hin zu Spannungskopfschmerzen.

Bei sportlich aktiven Menschen zeigt sich ein größerer Anteil an Head- als an Eye-Movern. Dies zeigt die Bedeutung körperlicher Bewegung in der freien Natur (weite, breit gestreute Blickziele), insbesondere für Menschen mit bildschirmgebundenen Arbeitsplätzen.

Tipps für die Praxis

Die visuellen Informationen spielen eine entscheidende Rolle bei der Körperorientierung im Raum. Die Augen- als auch die Wirbelsäulenmotorik sind eng miteinander verschaltet und bedingen sich gegenseitig. Störungen in einem dieser motorischen Systeme können sich auf das andere System auswirken. Bildschirmarbeit fördert eine rigide Kopfhaltung und isolierte Augenbewegungen, was unserem Naturell als Kopfbeweger (Head-Mover) entgegenläuft. Deswegen empfehlen wir gerade für Menschen an Bildschirmarbeitsplätzen folgende Verhaltensweisen:

  • Regelmäßig die Blickfixierung auf den Bildschirm unterbrechen und den Blick aus dem Fenster in die Ferne schweifen lassen.
  • Spätestens alle zehn Minuten den Kopf einmal maximal im schmerzfreien Bereich nach links und rechts drehen, nach oben Richtung Decken schauen und nach unten auf den eigenen Bauch schauen, um die Nackenmuskulatur zu aktivieren.
  • Zwischen stehender und dynamisch sitzender Arbeitshaltung wechseln (Steh-Sitz-Dynamik), um einen erhöhten Informationsinput zu generieren.
  • Möglichst dynamische Sitzmöbel mit vielen Bewegungsmöglichkeiten nutzen. Motto: Die beste Körperhaltung ist immer die nächste.
  • Das Arbeitsumfeld auf dem Schreibtisch nicht zu eng halten, um Kopfbewegungen zu provozieren. Vorlagenhalter zwischen Tastatur und Bildschirm sind in diesem Zusammenhang kritisch zu sehen, da die Vorlagen hier nicht das Blickfeld verlassen.
  • Eine körperlich aktive Freizeitgestaltung, z. B. durch Sport in der freien Natur. Sport in Fitnessstudios bringt diesbezüglich den Nachteil mit sich, keine große Blickweite zu haben und möglicherweise wieder auf Monitore zu starren.
  • Bei bestehenden Beschwerden frühestmöglich einen Therapeuten aufsuchen, um zentralmotorische Funktionsstörungen zu beheben und sich für zukünftige Verhaltensweisen beraten und schulen zu lassen.

Quellen:

  • Berthoz, A. (1974) Oculomotor activity and proprioception. In: Rev Electroencephalogr Neurophysiol Clin 4(4), 569-586.
  • Beyer, L.; Seidel, E.J.; Grein, H.J.; Hartmann, J. (2007) Individuelle Stereotype der Koordination von Kopf- und Augenbewegungen. Ursache von Nacken und Schulterschmerzen? In: Manuelle Medizin 545(6).
  • Carrick, F.R. (1997) Changes in brain function after manipulation of the cervical spine. In: J Manipulative Physiol Ther 20, 529-545.
  • Corneil, B.D.; Olivier, E.; Munoz, D.B. (2004) Visual responses on neck muscles reveal selective gating that prevents express saccades. In: Neuron 42(5), 831-841.
  • Cullen, K.E.; Guitton, D. (1997) Analysis of primate IBN spike trains using system identification techniques. II. Gaze versus eye movement based models during combined eye-head gaze shifts. In: J Neurophysiol 78(6), 3283-3306.
  • Friedrich, M.; Seidel, E. (20171) Sehverhalten, visuelle Defizite und Wahrnehmungsstörungen im Zusammenhang mit Motorik-, Haltungs- und Gleichgewichtsstörungen (MHG). In: Friedrich, M. (2017) Interdisziplinäre Optometrie. DOZ, Heidelberg.
  • Friedrich, M.; Seidel, E. (20172) Sehverhalten, visuelle Defizite und Wahrnehmungsstörungen im Zusammenhang mit Störungen der Kopf-Augen-Bewegung (KAB). In: Friedrich, M. (2017) Interdisziplinäre Optometrie. DOZ, Heidelberg.
  • Garten, H. (2016) Applied Kinesiology – Funktionelle Myodiagnostik in Osteopathie und Chirotherapie. Elsevier, München.
  • Klinke, R. et al. (2009) Physiologie. Thieme, Stuttgart.
  • Levin, L.A.; Arnold, A.C. (2005) Neuro-Ophthalmology. Thieme, New York.
  • Roll, J.P.; Vedel, J.P.; Roll, R. (1989) Eye, head and skeletal muscle spindle feedback in the elaboration of body references. In: Prog Brain Res. (80), 113-123 & 157-160 (discussion).
Links
  • Schematische Darstellung der Kopplung der Wirbelsäulen- und Augenmotorik (=Visuomotorik) in den Kerngebieten des Gleichgewichtsnervs (Bildquelle: Garten 2016, Elsevier )

  • Bildschirmgebundene Arbeitsplätze begünstigen isolierte Augenbewegungen durch das kleine und nahe Sichtfeld auf den PC-Monitor. Deshalb möglichst häufig Bewegungs- und Entspannungsmöglichkeiten nutzen.

  • Eine bewegungsfördernde Arbeitsumgebung mit der Möglichkeit der nachhaltigen Etablierung von Geh-, Steh- und Sitzdynamik leistet einen wesentlichen Beitrag für eine gesunde Visuomotorik.

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