Bürodynamik: Verhältnisse für mehr Bewegung

Gelegenheit macht agil

von Michael Schurr
Angebote für mehr Bewegung am Arbeitsplatz werden gerne genutzt. - Bild: Pixel-Shot/Adobe Stock

Angebote für mehr Bewegung am Arbeitsplatz werden gerne genutzt. - Bild: Pixel-Shot/Adobe Stock

Bürodynamik ist ein Konzept, um mehr Bewegung ins Büro zu bringen. Ziel ist, bestehende dynamische Verhältnisse wie moderne Sitzkonzepte oder Steh-Sitz-Lösungen um dynamisches Verhalten zu erweitern. Wie sich dies realisieren lässt, erläutert dieser Artikel.

Alle Maßnahmen müssen an die lokalen Gegebenheiten, wie Organisationskultur, spezifische Zielgruppe, übliche Kommunikationsformen, angepasst werden. Zur Umsetzung der Bürodynamik in der Praxis gibt es verschiedene Möglichkeiten. Es empfiehlt sich, diese Möglichkeiten nach dem TOP-Prinzip (Technik, Organisation, Person) zu kategorisieren und zu priorisieren.

Das TOP-Prinzip beschreibt die optimale Vorgehensweise für ein Unternehmen, um Gefährdungen am Arbeitsplatz zu eliminieren. Gefährdungspotenziale sollen möglichst in folgender Reihenfolge entfernt werden, um die Erfolgschancen zu maximieren und den Umsetzungsaufwand zu minimieren:

  • Technik: Hier geht es um den Einsatz von technischen Hilfsmitteln zur Gefährdungsbekämpfung. Im Rahmen der Bürodynamik bedeutet dies, dass Geräte eingesetzt werden, die eine erhöhte körperliche Aktivität während der Arbeit erlauben, z. B. von dynamischen Sitzkonzepten über Sitz-Steh-Lösungen mit Bewegungs-Board bis zu Pedalier- und Laufbandkonzepten.
  • Organisation: Änderung der Arbeitsprozesse im Unternehmen mit dem Ziel, mehr Bewegung in den Arbeitsalltag zu integrieren, z. B. durch die verteilte Aufstellung der Büroinfrastruktur, die zu längeren Laufwegen zwingt, „Stehungen“ statt Sitzungen oder Besprechungen im Freien beim Gehen (Walk and talk).
  • Person: Ziel ist es, betroffene Personen dazu bringen, mehr körperliche Aktivität in ihren Tagesablauf zu integrieren, z. B. Fahrrad statt Auto – beispielsweise mit vom Betrieb geförderten Fahrrädern/E-Bikes – oder Treppen steigen statt Aufzug fahren.

Dynamische Sitzkonzepte: dem Sitzen das Gehen beibringen

Stillsitzen widerspricht dem Lebensprinzip Bewegung. Deshalb muss Bewegung ins Sitzen kommen – durch dynamisches Sitzen. Dynamisches Sitzen ist das Sitzen auf einem Bürostuhl mit einem Sitzkonzept, das dem Menschen durch ein dynamisches Sitzträgersystem häufige, vielfältige und natürliche Bewegungen und Haltungswechsel ermöglicht.

Das System sollte so ausgelegt sein, dass ein statisches Sitzen nicht möglich ist. Die Dynamik ergibt sich in der Regel durch Gewichtsverlagerungen. Sie lässt sich durch die Nutzung der Grundprinzipien wie Kipp-, Ball- oder Pendel-Prinzip und Mischformen davon erreichen oder über kinematische Lösungen.

Sitz-Steh-Dynamik – aufstehen, um sich zu bewegen

Der Wechsel macht's: Sitz-Steh-Dynamik ist der häufige Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Bewegen bei der Arbeit vor dem Monitor mit dem Ziel, die einseitige Belastung durch langes Sitzen zu vermeiden. Sitz-Steh-Dynamik ist der zentrale Baustein für Bürodynamik, also mehr Bewegung im Büro; denn wer nicht aufsteht, kann sich nicht bewegen. „Aufstehen, um sich zu bewegen“ statt „aufstehen, um sich zu setzen“ – das ist der notwendige Paradigmenwechsel.

Davon zu unterscheiden ist die Steh-Sitz-Dynamik. Hier geht es um den Wechsel vom Stehen zum Sitzen mit dem Ziel, die einseitige Belastung durch langes Stehen zu vermeiden. Die beste Möglichkeit aus dem Teufelskreis Sitzen auszubrechen, ist der Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Bewegen – nur das bringt den gesundheitlichen Gewinn. Sitz-Steh-Dynamik und Steh-Sitz-Dynamik beugen hier durch gezielte Bewegungsförderung bei der Arbeit vor.

Statt starrer Fußstütze: Sitzend gehen und gehend stehen

Die bessere Alternative zu einer klassischen Fußstütze sind Balance- und Aktivboards. Sie ermöglichen durch gewölbte Formen und flexible Materialien „sitzendes Gehen“ bzw. „gehendes Stehen“. Während man normal arbeitet, erhält der Körper ständig Bewegungsimpulse und reagiert darauf.

Auch bei Meetings, die an Stehtischen abgehalten werden, ermöglichen diese Lösungen ein gehendes Stehen. So kann jede damit ausgestattete Stehzone Mitarbeiter*innen nicht nur ins Stehen, sondern auch aktiv ins Gehen bringen.

Aktive Arbeitsplätze

Technische Ansätze zur Veränderung der Verhältnisse im Unternehmen im Rahmen der Bürodynamik haben ein Ziel: Mitarbeiter zu mehr körperlicher Aktivität möglichst parallel zur Arbeit zu bringen. Voraussetzung dafür ist, dass die eingesetzten Geräte

  • für die Büroumgebung geeignet sind,
  • die Arbeitsleistung in ausreichendem Maß erlauben und
  • den Energieverbrauch signifikant erhöhen.

Pedalierkonzepte für den Schreibtisch und Laufband-Schreibtisch-Kombinationen erfüllen diese Voraussetzungen.

Pedalierkonzepte

Bei Pedalierkonzepten tritt der Anwender parallel zum Arbeiten wie beim Fahrradfahren in die Pedale. Zum Einsatz kommen hierbei speziell für die Büroumgebung entwickelte Fahrradergometer, sogenannten Desk Bikes. Durch die Tretbewegung erhöht sich der Energieverbrauch um das bis zu 3,3-fache im Vergleich zum Sitzen, ohne dass die Arbeitsleistung eingeschränkt wird. Der Bewegungsablauf ist vom regulären Fahrradfahren, vom Spinning oder vom Fitnessrad bereits automatisiert, weshalb das wiederkehrende Treten keine Konzentration erfordert.

Das Pedalieren ist nicht nur am höhenverstellbaren Schreibtisch möglich. Zusammen mit einem mobilen Stehpult ist ein Desk Bike flexibel im Raum und von mehreren Personen nutzbar.

Es sind grundsätzlich zwei Varianten zu unterscheiden:

  • Produkte für das Pedalieren im Sitzen sind auch aus dem Fitnessbereich bekannt, wo jedoch keine vorgeneigte Arbeitshaltung gefordert ist.
  • Produkte für das Pedalieren im Stehen haben den Vorteil der vom Radfahren gewohnten Hebelverhältnisse.

Ein sechswöchiges, wissenschaftlich begleitetes Projekt, das 2016 bei der Telekom mit 60 Desk Bikes durchgeführt wurde, trug schnell Früchte: Da die Erfahrungen weit über den Erwartungen lagen, wurde die Ausstattung binnen eines Jahres auf über 500 Desk Bikes aufgestockt. Damit belegte das Modellprojekt, dass die Beschäftigten Desk Bikes annehmen und nutzen.

Bei einer Desk-Bike-Nutzung von ein- bis zweimal pro Tag für 30 Minuten ließen sich positive Effekte auf die physische und psychische Gesundheit nachweisen. Im Rahmen der Einführung wurde auch eine Gefährdungsbeurteilung durch den Telekom-Dienstleister durchgeführt; bis heute sind keine Unfälle bekannt.

Laufbandkonzepte

Bei Laufbandschreibtischen (Treadmill Desks) wird ein stationäres Laufband unter einem Stehschreibtisch platziert, wie es aus dem Fitnessstudio bekannt ist. Im Betrieb läuft der Anwender darauf in einem langsamen Schritttempo, während er arbeitet. Der Energieverbrauch ist im Vergleich zum Sitzen verdoppelt, anders als beim Pedalieren jedoch die Arbeitsleistung eingeschränkt.

Für viele ist es unvorstellbar, während des Laufens mit Maus und Tastatur zu arbeiten. Aber jeder, der bereits einmal auf dem Laufband unterwegs war, weiß um die klaren Gedanken z. B. beim Joggen.

Vor- und Nachteile aktiver Arbeitsplätze

Die Vorteile und Nachteile von Pedalierkonzepten und Laufbandschreibtischen müssen individuell abgewogen werden:

Pedalierkonzept

  • Vorteile: Kein erhöhtes Verletzungsrisiko, für jede Schreibtischtätigkeit geeignet, erhöhter Energieverbrauch, mobil einsetzbar und geringer Platzbedarf.
  • Nachteile: Reduzierte Sitzfläche, leichte Bewegungsgeräusche, bei Stehenden ist ein Steharbeitsplatz oder ein mobiles Stehpult notwendig.

Laufbandschreibtisch

  • Vorteile: Gehende Bewegung (falls gewünscht), erhöhter Energieverbrauch.
  • Nachteile: Erhöhtes Verletzungsrisiko, reduzierte Arbeitsleistung, großer Platzbedarf, deutlich hörbare Betriebsgeräusche, nicht für Anwender mit Gelenkproblemen geeignet, nicht mobil einsetzbar, Stromversorgung notwendig.

Kommunikation ist wichtig

Das Projekt zu Pedalierkonzepten bei der Telekom und dessen große Akzeptanz belegen die zentrale Bedeutung der Kommunikation bei der Einführung von bewegenden Verhältnissen.

Es beginnt mit der Kommunikation des „Warum ist es sinnvoll, sich zu bewegen“ und setzt sich fort mit dem „Wie nutze ich die jeweiligen Verhältnisse?“, denn bewegende Verhältnisse sind nur dann sinnvoll, wenn diese auch richtig und nachhaltig genutzt werden. Das trifft auf alle Bewegungsmöglichkeiten zu:

  • Treppen – machen munter, Aufzüge ziehen runter.
  • Dynamisches Sitzen – ist mehr als vordere, mittlere und hintere Sitzhaltung.
  • Sitz-Steh- und Steh-Sitz-Dynamik – der Wechsel macht's.
  • Pedalieren und Laufen, damit sich im Unternehmen etwas bewegt.

Die Schlüsselrolle kommt damit dem Mitarbeiter zu, der sich für sich bewegen muss. Bewegung beginnt im Kopf. Der Betrieb kann nur den bewegten Rahmen über die Verhältnisse zur Verfügung stellen und die Sinnhaftigkeit kommunizieren. Führungskräfte können Bewegung durch eigenes Vorleben maßgeblich fördern.

Ausblick: Freiraum bewegend nutzen

Mit der Digitalisierung (Büro 4.0) nimmt der Anteil an Arbeitsplätzen mit geringem Bewegungsumfang weiter zu – und damit der Bedarf für Bürodynamik. An den Herausforderungen in der Umsetzung der beschriebenen Konzepte wird sich dadurch nichts ändern. Die Digitalisierung bietet aber neue Möglichkeiten, die die Chancen für eine erfolgreiche Umsetzung erhöhen können.

Exemplarisch sei hier die Einbindung der sozial-ökologischen Ebenen in einem Unternehmen genannt, die für die erfolgreiche Umsetzung notwendig sind. Die vollständige Integration der einzelnen Ebenen lässt sich künftig mit reduziertem Aufwand realisieren. Wearables und Smartphones in Kombination mit Big Data und künstlicher Intelligenz ermöglichen automatisierte Systeme, die eine individuelle Beratung und Förderung der Beteiligten ohne Mehraufwand erlauben. Die Daten können darüber hinaus genutzt werden, um interindividuelle oder organisatorische Maßnahmen noch einfacher in die Tat umzusetzen.

Alle Möglichkeiten sind durch die Verhältnisse bereits gegeben – es ist eine Entscheidung im Kopf. Vom Kopf in den Körper und zurück – so kann sich mehr Bewegung ausbreiten

Was es mit dem Konzept Bürodynamik auf sich hat, und warum das auch für Unternehmen und die Gesellschaft wichtig ist, erläutert der erste Teil unserer Artikelserie.

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