Die Rolle der Bandscheibe
So wichtig eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung auch ist die Bandscheibe taugt dafür nicht als Argument.
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Die Bandscheiben stehen häufig im Fokus ergonomischer Überlegungen, gelten sie doch als Verursacher vieler Rückenleiden. Doch wie hängen Bandscheiben und Ergonomie wirklich zusammen? Verschiedenen Studien zufolge, verbessern zwar Haltungswechsel ermöglichende Büromöbel die Widerstandsfähigkeit der Bandscheiben, zu ihrer Druckentlastung tragen sie jedoch nicht bei.
Um die Wirkung von Bewegung auf die Bandscheiben verstehen zu können, muss man sich etwas mit ihrer Anatomie und Physiologie befassen. Die 23 Bandscheiben liegen zwischen den Wirbelkörpern der Hals-, Brust- und der Lendenwirbelsäule. Sie bestehen aus einem äußeren, mehrschichtigen Faserring und aus einem inneren, gallertartigen Kern. Die äußeren Schichten des Faserrings weisen nur einen geringen Anteil an elastischen Fasern auf. Die Gewebsfasern der einzelnen Faserringschichten sind so beschaffen, dass jede Bewegung in einem Wirbelsegment optimal mechanisch gedämpft wird. Während die äußerste Faserschicht von Blutgefäßen und Nerven versorgt wird, gibt es in den übrigen Schichten weder Nerven noch Gefäße. Der Kern gallertartiger Substanz im Inneren der Bandscheibe übt Spannung nach allen Seiten aus. Dadurch wird der Abstand zwischen zwei Wirbelkörpern aufrechterhalten.
Beim Sitzen ist der Druck auf die Bandscheiben am größten
Die Ernährung der Bandscheiben findet hauptsächlich durch den Wechsel von Druckbelastung und Druckentlastung statt. Bei Druck auf die Bandscheibe, zum Beispiel im Sitzen oder Stehen, wird Flüssigkeit in den Knorpel und in den Wirbelkörper gedrückt. Bei Entlastung der Bandscheibe, beispielsweise beim Liegen, entsteht ein Unterdruck im Bandscheibengewebe und die Flüssigkeit kehrt langsam in die Bandscheibe zurück. Im Wasser befindet ein Makromolekülgemisch – die Nährstoffsubstanz der Bandscheibe. Diese Substanz hat aufgrund ihrer starken Wasseranziehungskraft einen großen Einfluss auf die Elastizität der Bandscheibe. Bei mechanischer Belastung der Bandscheibe gibt sie vermehrt Wasser ab, sodass die Konzentration der Nährflüssigkeit zunimmt. Der Druck, den diese Substanz aufbaut, wirkt dem mechanischen Druck entgegen und verhindert so eine Flüssigkeitsleere der Bandscheibe.
Die Nährsubstanz ist so stark wasseranziehend, dass die Bandscheibe bis zu einem Belastungsdruck von etwa 80 Kilogramm (kg) Wasser aufnimmt. Wirkt eine stärke Kraft auf die Bandscheibe ein, wird Flüssigkeit aus ihr herausgepresst. Der Druck hängt von der Körperhaltung ab. So herrscht in Rückenlage ein durchschnittlicher Bandscheibendruck von circa 25 kg vor, im Stehen von circa 100 kg und im aufrechten Sitzen von 100 bis 140 kg. Sowohl eine ausschließliche Entlastung wie auch eine dauerhafte Belastung führen zu Schäden innerhalb des Bandscheibengewebes. Nur ein ständiger Wechsel zwischen Be- und Entlastung und damit zwischen Flüssigkeitsaufnahme und -abgabe, sorgt für den Erhalt der notwendigen Stoffwechselvorgänge.
Für Ergonomie am Arbeitsplatz gibt es gute Gründe
Ob dabei nun das aufrechte Sitzen statisch oder dynamisch gestaltet wird, ändert am hohen Druck nichts. Einzelne Studien weisen darauf hin, dass der Bandscheibendruck bei Kippbewegungen sogar noch ansteigt. Doch auch ein Bandscheibendruck von 140 kg ist für ein gesundes Bandscheibengewebe gut verkraftbar. Wenn man sich noch einmal vor Augen führt, dass die Grenze der Flüssigkeitsaufnahme bei circa 80 kg liegt, so führt auch ein Wechsel zwischen Stehen und Sitzen am Arbeitsplatz nicht zu einer vermehrten Flüssigkeitsaufnahme in der Bandscheibe. Einen Weg, um dies zu erreichen, gibt es jedoch – und zwar durch einen durch einen Wechsel zwischen einer aufrechten Sitzposition und einer mithilfe einer Nackenstütze nach hinten abgelegten Position mit hochgelagerten Beinen. Je weiter sich dabei der Sitzende nach hinten ablegen kann, desto mehr wird der innere Bandscheibendruck sinken. Da man allerdings in dieser Position nicht effektiv arbeiten kann, ist die Zeit, die man in ihr verbringt, in der Regel zu kurz, um die Bandscheibe ausreichend mit Flüssigkeit zu versorgen.
Auf den Punkt gebracht – die Bandscheiben liefern keine hinreichende Argumentationsgrundlage für eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung. Dass eine solche aber dennoch unbedingt empfehlenswert ist, dafür sprechen viele andere Gründe. So ermöglichen höhenverstellbare Tische, dynamische Bürostühle und Bewegungssequenzen im Arbeitsablauf, einen regelmäßigen Haltungswechsel, von dem der Bewegungsapparat, das Herz-Kreislauf-System und der Stoffwechsel profitieren.