Myokine: So kann Bewegung Entzündungen lindern
Krafttraining mit heilender Wirkung auf molekularer Ebene

Regelmäßiges Training regt die Produktion natürlicher Entzündungshemmer an - Foto: Anastasia Shuraeva/Pexels
Wussten Sie, dass Krafttraining nicht nur positive Effekte auf Ihren Trainingszustand, sondern auch auf das Entzündungsgeschehen in Ihrem Körper haben kann? Verantwortlich dafür sind Myokine – spezielle Botenstoffe, die von der Muskulatur freigesetzt werden und eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit spielen.
Lange Zeit war nicht klar, dass die Muskulatur neben der Bewegung noch weitere wichtige Funktionen übernimmt. Heute gilt die Muskulatur als das massemäßig größte Organ des menschlichen Körpers. Eine wichtige Rolle bei dieser Einschätzung spielte die Entdeckung der Myokine.
Myokine und ihre Wirkung im Körper
Myokine sind hormonähnliche Botenstoffe, die von der Skelettmuskulatur produziert und freigesetzt werden. Diese Signalmoleküle wirken lokal (autokrin), in benachbartem Gewebe (parakrin) oder über den Blutkreislauf (endokrin). Sie sind an entzündungshemmenden, metabolischen und immunologischen Prozessen beteiligt und tragen so zum Gleichgewicht des Körpers bei. Bisher wurden mehrere hundert Myokine identifiziert, darunter Interleukin-6 (IL-6), Interleukin-15 (IL-15) und Irisin.
IL-6 hat sowohl pro- als auch anti-inflammatorische, also entzündungsfördernde und entzündungshemmende Eigenschaften, die von seiner Verweildauer im Blut abhängen. Wenn IL-6 kurzfristig durch Muskelaktivität ausgeschüttet wird, wirkt es entzündungshemmend und unterstützt Zucker- und Fettstoffwechsel. Im Gegensatz dazu können Entzündungsprozesse gefördert werden, wenn IL-6 langfristig in erhöhter Konzentration im Serum vorliegt. Dies ist etwa bei chronischen Erkrankungen der Fall.
IL-15 hat eine anabolische Wirkung, die zu einer Zunahme an Muskelmasse führt. Es verbessert außerdem die Glukoseaufnahme in Muskelzellen, reduziert viszerales, also im Bauchraum eingelagerte Körperfett und hat positive Effekte auf den Fettstoffwechsel. Diese Eigenschaften machen es zu einem wichtigen Faktor in der Behandlung von Patient*innen mit Diabetes Mellitus oder kardiovaskulären Erkrankungen. Studien zeigen, dass IL-15 hauptsächlich durch Krafttraining freigesetzt wird, während es bei Ausdauertraining bisher kaum nachweisbar ist.
Irisin fördert die Umwandlung von weißem Fettgewebe zu braunem Fettgewebe, wodurch die Fettsäureoxidation und der Zuckerstoffwechsel verbessert werden. Daher spielt es eine wichtige Rolle in der Prävention von Stoffwechselerkrankungen (z.B. Typ-2-Diabetes) und wird als potenzieller Lösungsansatz für das Metabolische Syndrom diskutiert. Zudem verhindert es den Knochenabbau. Irisin wird sowohl durch Kraft- als auch durch Ausdauertraining freigesetzt. Cofaktoren wie Kälte (Muskelzittern), der individuelle Fitnesszustand oder das Alter können die Produktion zusätzlich beeinflussen.
Positive Effekte von Krafttraining auf das Entzündungsgeschehen
Regelmäßiges Krafttraining führt zu Anpassungsprozessen auf neuronaler und physiologischer Ebene. Zu Beginn steigern neuronale Anpassungen die Kraft, während später auch strukturelle Veränderungen in der Muskulatur auftreten. Durch Training kommt es zu kleinen Mikroverletzungen im Muskel, die abhängig von der Intensität und Dauer des Trainings sowie des Trainingsniveaus variieren. Diese Belastung löst Anpassungs- und Regenerationsprozesse aus, bei denen Myokine eine wichtige Rolle spielen.
Durch Muskelkontraktionen gelangen Myokine in den Blutkreislauf. Dort hemmen sie entzündungsfördernde Signalstoffe, verbessern die Insulinsensitivität und optimieren den Stoffwechsel. Es konnte gezeigt werden, dass die Plasmakonzentration sowohl während als auch nach einer Muskelaktivität, abhängig von der Belastungsintensität, Dauer und der beteiligten Muskelmasse, ansteigt und während der Erholung wieder sinkt. Dieser Effekt zeigt sich schon bei einer geringen Herz-Kreislauf-Aktivierung (Herzfrequenz 113 bis 122 Schläge pro Minute). Zusammenfassend unterstützen Myokine die Stärkung und Regeneration der Muskulatur, wirken entzündungshemmend und fördern langfristig die Gesundheit.
Arten des Trainings und deren Einfluss auf Myokine
Bezogen auf die Myokin-Freisetzung wurden bisher zwei Krafttrainingsarten untersucht: Hypertrophietraining und Kraftausdauertraining. Die Art des Trainings beeinflusst die Myokinproduktion. Hypertrophietraining, das auf Muskelwachstum abzielt, fördert die Ausschüttung von Myokinen, die zur Steigerung der Muskelmasse und gleichzeitigen Reduktion von Fettdepots beitragen. Kraftausdauertraining hingegen zielt darauf ab, die Ausdauer und den Stoffwechsel zu verbessern, während es die Produktion von entzündungshemmenden Myokinen anregt.
Hypertrophietraining kann den Aufbau der Muskulatur fördern, während Kraftausdauertraining die langfristige Verbesserung der Stoffwechselgesundheit unterstützt. Abhängig von den individuellen Zielen und Voraussetzungen kann somit eine optimale Mischform als Training konzipiert werden.
Muskelregeneration durch Myokine
Myokine spielen eine Schlüsselrolle bei der Regeneration der Muskulatur nach dem Training. Sie fördern die Reparatur geschädigter Muskelzellen, indem sie entzündungshemmende Prozesse aktivieren und die Funktion der Satellitenzellen verbessern. Dadurch wird nicht nur die Erholung beschleunigt, sondern auch die langfristige Leistungsfähigkeit verbessert.
Heilende Bewegung
Körperliche Aktivität – insbesondere in Form von Krafttraining – bietet weit mehr als nur eine Verbesserung der körperlichen Fitness. Es aktiviert die natürliche Produktion von Myokinen, die entzündungshemmend, metabolisch und immunologisch wirken. Regelmäßige Bewegung verbessert die Stoffwechselgesundheit, stärkt das Immunsystem und reduziert chronische Entzündungen.
Körperliche Inaktivität hingegen wird mit einer systemisch minderwertigen Entzündung und negativen gesundheitlichen Folgen assoziiert. Doch jeder Mensch trägt seinen natürlichen „Entzündungshemmer“ in sich – er muss lediglich durch Training regelmäßig aktiviert werden. Schon wenige Trainingseinheiten pro Woche reichen aus, um die Myokinproduktion anzuregen und einen entscheidenden Beitrag zu Gesundheit und Wohlbefinden zu leisten.
Quellen
- Laube, W. (2013). Muskelaktivität: Prägung des ZNS und endokrine Funktion. Manuelle Medizin, 51(2), 141–150. doi.org/10.1007/s00337-012-0989-1
- Petersen, A. M. W. & Pedersen, B. K. (2005). The anti-inflammatory effect of exercise. Journal of applied physiology (Bethesda, Md. : 1985), 98 (4), 1154- 1162. doi:10.1152/japplphysiol.00164.2004
- Zunner, B. (2021, 13. Januar). Myokine. Sportärztezeitung. Verfügbar unter sportaerztezeitung.com/rubriken/kardiologie/4721/myokine/
- Zunner, B. E. M., Wachsmuth, N. B., Eckstein, M. L., Scherl, L., Schierbauer, J. R., Haupt, S., Stumpf, C., Reusch, L., & Moser, O. (2022). Myokines and Resistance Training: A Narrative Review. International Journal of Molecular Sciences, 23(7), 3501. doi.org/10.3390/ijms23073501