Die nächste Haltung ist die beste Haltung
Büroarbeiter sollten ihre Sitzposition möglichst oft verändern.
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Um Bewegungseinschränkungen und Schmerzen vorzubeugen, sollten Büroarbeiter möglichst oft ihre Sitzposition verändern. Warum das wichtig ist und wie man sein Sitzverhalten verbessern kann, verrät Prof. Dr. med. Holger Schmitt, leitender Arzt im Deutschen Gelenkzentrum Heidelberg in der ATOS Klinik.
Kann übermäßiges Sitzen Erkrankungen am Bewegungsapparat verursachen?
Prof. Dr. med. Holger Schmitt: Es ist unwahrscheinlich, dass übermäßiges Sitzen schwerwiegende strukturelle Veränderungen hervorruft. Häufiger werden funktionelle Beschwerden verursacht. Das heißt, übermäßiges Sitzen kann dazu führen, dass gewisse Muskelgruppen entlastet werden und dadurch die muskuläre Stabilisierung – zum Beispiel der Wirbelsäule – verschlechtert wird. Im Bereich der großen Gelenke kommt es beim Sitzen zu einer permanenten Beugehaltung der Hüft- und Kniegelenke. Die Hüftgelenke sind hierbei mehr gefährdet. Die Beugehaltung kann zu Verkürzungen des Bindegewebes sowie der Weichteile um die Gelenke herum führen, was Bewegungseinschränkungen hervorrufen kann.
Welchen Einfluss hat nach Ihrer Erfahrung als Orthopäde das Sitzen auf die Beschwerden Ihrer Patienten?
Das ist abhängig vom Beschwerdebild. Wenn Patienten mit Rücken-, Hüft- oder Leistenbeschwerden zu uns kommen, ist es klassischerweise häufig so, dass während der Sitzphase die Beschwerden nicht zunehmen, aber nach der Veränderung der Sitzposition, wie beim Aufstehen, sich die Beschwerden verstärken. Der Grund dafür ist, dass in der Sitzposition ohne große Bewegung das Gelenk „einsteift“. Liegt bereits eine Beschädigung vor, wie Arthrose oder degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule, können sich diese dann verstärkt bemerkbar machen.
Welche Patienten können von einer Veränderung ihres Sitzverhaltens besonders profitieren?
Eigentlich profitiert davon jeder – auch Patienten, welche bereits Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten, also im Bereich Hüfte, Knie oder Sprunggelenk, haben. Wir wissen, dass eine übermäßige Sitzbelastung Beschwerden eher verstärkt, deswegen empfehlen wir unseren Patienten, ein verändertes Sitzverhalten zu entwickeln. Das heißt, man sollte versuchen, möglichst verschiedene Geh-, Steh-, Sitz- und Liegepositionen einzunehmen, um durch eine Veränderung der Position, den Bewegungsapparat unterschiedlich anzusprechen und ihn dadurch zu entlasten und zu trainieren. Verschiedene Lagepositionen sind immer günstiger als eine reine Sitzposition.
Welche Tipps geben Sie Ihren Patienten, um ihr Sitzverhalten zu verbessern?
Wie bereits erwähnt, die Sitzposition gilt es zu verändern. Es gibt Methoden, um aus der tiefen Sitzposition herauszukommen. Beispielsweise gibt es Sitzgelegenheiten, bei denen man wie an einem Barhocker sitzt, wodurch man keine starke Beugeposition im Hüftgelenk hat und erhöht sitzt. Außerdem ist es wichtig, dass man Sitzpausen macht und, wenn möglich, alle halbe Stunde ein paar Meter geht, damit sich der Bewegungsapparat entspannt. Dadurch wird verhindert, dass es dauerhaft zu ein und derselben Sitzposition kommt. Nicht in allen Fällen ist das möglich, beispielsweise in Berufen, bei denen eine dauerhafte Sitzposition am Computer erforderlich ist. Hierbei sollte man zumindest versuchen, durch eine Veränderung der Sitzhöhe und durch Sitzunterbrechungen Einfluss zu nehmen.
Können Sport und Bewegung Ihren Patienten helfen?
Ja – lautet die einfache Antwort. Bewegung ist wichtig, um den Bewegungsapparat geschmeidig zu halten, die Muskeln und Sehnen um die Hüftgelenke herum zu trainieren und um die Gelenke dadurch zu entlasten. Sport ist grundsätzlich sinnvoll, da die motorischen Fähigkeiten wie Kraft, Koordination, Beweglichkeit, Schnelligkeit und Ausdauer gut trainiert werden können. Das ist für jeden Menschen gut und hilft natürlich auch den Patienten. Dabei sollte die sportliche Vorerfahrung der Patienten beachtet werden, zudem sollte eine Sportart gewählt werden, welche dem Einzelnen Freude bereitet und den Bewegungsapparat nicht zu stark belastet, ihn aber dennoch stärkt.
Zur Person:
Prof. Dr. med. Holger Schmitt ist leitender Arzt im Deutschen Gelenkzentrum Heidelberg in der ATOS Klinik. Er ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, spezielle Orthopädische Chirurgie, Sportmedizin, Rheumatologie sowie Chirotherapie. Schmitt betreut sämtliche sportorthopädische beziehungsweise sporttraumatologische Fragestellungen, zu denen er auch regelmäßig publiziert. Außerdem ist der Orthopäde auch Präsident des Sportärztebundes Baden.